Predigt zu Neujahr, Übertragung im DLF
Liebe Schwestern und Brüder hier in der Kirche, liebe Hörerinnen und Hörer!
Die Leseordnung stellt uns am Beginn des Jahres Maria vor Augen und zwar in einer ganz bestimmten Situation. Die Hirten kommen und erzählen, was ihnen über das Kind gesagt worden ist. Die Reaktion aller, die es hörten, so schreibt Lukas, war Staunen und Verwunderung. Nur von einer Person, von Maria wird mehr berichtet, sie wird durch ein „aber“ im Text deutlich von den anderen unterschieden und von ihr heißt es: Sie „bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach.“ Wichtig ist hier die Wortwahl, bei Maria ist es nicht nur Staunen über die Worte, sondern über alles, was geschehen war, d.h. die ganze Situation, wie sie sie erlebt hatte, alle Eindrücke, die auf sie eingeströmt waren, alles was sie bewegt hat, bewahrt sie und denkt darüber nach und zwar nicht im Kopf, sondern im Herzen. Das griechische Wort „symballein“, das Lukas verwendet und das die Einheitsübersetzung mit nachdenken wiedergibt, hat viele Bedeutungen. Nachdenken wird bei uns eher kopflastig verstanden. Deshalb wählen andere Übersetzungen z.B. „erwägen“ oder „in Gedanken bewegen“, um deutlich zu machen, dass ein ganzheitlicher Vorgang beschrieben ist, denn das Herz ist das Wort für die Mitte einer Person. Von der Mitte her nachdenken, d.h. mit Hirn und Herz, mit Verstand und mit Gefühl. Und Herz meint auch ganz tief und existenziell darüber nachdenken, nicht als Gedächtnissport, nicht als Spiel sondern im Innersten betroffen und bewegt über das Leben nachdenken mit der Hoffnung, dass dabei ein Licht aufgeht, eine Erkenntnis sich durchsetzt.
Das kann manchmal, auch kämpfen bedeuten, sich auseinandersetzen im Herzen, auch das ist eine Bedeutung des griechischen Wortes „symballein“.
Damit beschreibt Lukas das, was spätere Jahrhunderte Betrachtung oder Meditation nennen. Allerdings beschreibt es Lukas in der ursprünglichen Form ohne Aufwand, ohne Technik, ganz einfach und selbstverständlich.
Es ist kein Zufall, dass dieser Text der Hl. Schrift am Anfang des Jahres steht. In der Haltung Mariens wird deutlich, was im Leben, in diesem neuen Jahr, ein wichtiger Vorsatz wäre, nämlich sich in dieser Haltung des Nachdenkens im Herzen zu üben und sein Leben aus der Betrachtung der Ereignisse auf dem Hintergrund des Glaubens zu gestalten. Das bedeutet, nicht die Sinne zu betäuben, sondern hellwach alles aufzunehmen, was um uns geschieht, nicht nur äußerlich, nicht nur wie ein Computer die Daten registrierend, sondern innerlich schauend und hörend und riechend und tastend und schmeckend, mit dem Herzen, um das Wesentliche, das Wichtige zu erkennen.
Das heißt sensibel und empfindsam zu werden auch nach innen, in sich hineinhorchen, die Bewegungen des Herzens wahrzunehmen. Es heißt auch, ein Gespür zu entwickeln für meinen Körper und seine Reaktionen, die Wirkungen der Ereignisse erspüren.
Die Wahrnehmung wird dadurch erweitert und vertieft, man könnte von Bewusstseinserweiterung, nicht durch Drogen, sondern durch die geistliche Übung der Betrachtung, der Meditation sprechen.
Das alles nun aber nicht frei schwebend im Raum, zum Zeitvertreib, sondern zielgerichtet, denn es geht um die Gestaltung und Veränderung des Lebens. Maßstab für uns Christen ist das Leben und die Botschaft Jesu Christi. Also nicht einfach eine Nachdenklichkeit, sondern wie schon bei Maria ein Nachdenken über das Leben auf dem Hintergrund der Botschaft von der Menschwerdung Gottes, der Botschaft des Heils. Die Betrachtung des Lebens im Glauben ist die Herausforderung eines besonnenen und wachsamen christlichen Lebens. Aus diesem Bemühen erwachsen Erkenntnis, Kraft und Segen, eine Ahnung vom Reich Gottes und der Mut zur Veränderung.
Gerade in unserer derzeitigen Lage und im Blick auf die anstehenden politischen Entscheidungen und Wahlen in diesem Jahr, wünschte ich mir die beschriebene Haltung auch bei allen, die Verantwortung tragen in Politik, Gesellschaft und Kirche wie bei Bürgerinnen und Bürgern. Besonnenheit, Wachsamkeit und Nachdenklichkeit, keine Schnellschüsse, keine Parolen und dumpfen Sprüche. Unsere Wirklichkeit lässt sich nicht auf eine SMS oder Twitterbotschaft, auf eine Zeitungsüberschrift oder eine Parole auf Transparenten reduzieren, sie ist wesentlich komplizierter und jede Vereinfachung geht immer auf Kosten der Menschlichkeit in unserer Gesellschaft. Besonnenheit und Nachdenken ist nicht nur den Christinnen und Christen aufgetragen, sondern ist erste Bürgerpflicht, soll Demokratie entwickelt werden und nicht in Gefahr geraten.
Schwestern und Brüder, die frohe Botschaft des heutigen Tages wird so gewissermaßen zu einem Gebot der Stunde des beginnenden neuen Jahres: es gilt, die Ereignisse in unserem Leben, in unserer Gesellschaft ausreichend im Herzen zu erwägen, bevor jeder und jede von uns etwa politische Entscheidungen trifft oder ein Kreuz bei der Wahl macht. Halten sie dabei bitte immer präsent, dass es bei allen wichtigen politischen Entscheidungen immer um Menschen geht, um Schicksale und nicht um Statistiken, Zahlen oder gar Befindlichkeiten und Stimmungen.
Mir schiene dies der einzig sinnvolle Vorsatz am Beginn dieses Jahres, uns mehr um diese innere Erkenntnis zu bemühen, der Stille nicht auszuweichen und unser Herz wieder wahrzunehmen, denn, wie heißt es bei Saint-Exupery so richtig im Kleinen Prinzen: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ AMEN
Pater Michael Plattig O.Carm.
Predigt zu Neujahr, Übertragung im DLF